Dr. Jurij Lileev

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Dr. Jurij Lileev

[die Mitgliedschaft ruht seit dem 14.03.2022]

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Projekt

Die Rezeption des „Petersburger Textes“ in Deutschland (18. ‒ Anfang des 20. Jhs.)

Spricht man von „kultureller Identität“ und „kulturellem Gedächtnis“ im Rahmen der Auseinandersetzung mit den deutsch-russischen Kulturkontakten, so erscheint V. Toporovs Konzept des „Petersburger Textes“ als besonders produktiv. Unter diesem Begriff – entstanden in der Tartu-Moskauer Schule der Semiotik um Jurij Lotman – wird die semantische Einheit der schöngeistigen Texte der russischen Literatur, die geistig und thematisch mit dem St. Petersburger Raum verbunden sind, verstanden: „… некий синтетический сверхтекст, с которым связываются высшие смыслы и цели“* (ein synthetischer Übertext, mit dem höhere Inhalte und Ziele verbunden sind). Es ist wichtig zu betonen, dass der Petersburger Text eine inhaltliche und strukturelle Einheit mit sich wiederholenden Schlüsselmotiven, philosophischen Inhalten und Mythologemen bildet und dementsprechend wie jeder schöngeistige Text gelesen und interpretiert werden kann. Der Petersburger Text der russischen Literatur kann im gewissen Sinne als eine einzigartige textuelle Verkörperung der wichtigsten Paradigmen der russischen Kultur, als ihre Quintessenz gedeutet werden. Er kann unterschiedliche Lesarten beinhalten sowie eine Vielfalt an Wahrnehmungen (Rezeptionen) aufweisen – sowohl innerhalb seiner eigenen Kultur als auch innerhalb der Fremdkultur (im vorliegenden Fall – der deutschen).

In der deutschen Literaturwissenschaft existieren zurzeit keine fundamentalen wissenschaftlichen Arbeiten, in deren Mittelpunkt die Rezeption des Petersburger Textes in der deutschen Kultur steht. Solche Arbeiten gibt es auch nicht in der russischen Forschung. Obwohl das Konzept an sich schon längst etabliert ist, wird nach wie vor über seine Rechtmäßigkeit bzw. Anwendbarkeit debattiert, sowohl vonseiten russischer als auch deutscher Forscher. Das vorliegende Projekt setzt sich zum Ziel, nicht nur erstmals die deutsche Rezeption des Petersburger Textes detailliert darzustellen, sondern auch die Problematik dieses Konzeptes als einen wesentlichen Bestandteil der russischen kulturellen Identität im europäischen Kontext grundlegend zu untersuchen. Als weitere Perspektiven des Forschungsprojektes sollten folgende genannt werden:

  • die Beschreibung und Analyse des Konzeptes „Petersburger Text“ im Rahmen seiner Wahrnehmung in der deutschen Kultur;
  • die Festlegung des Textkorpus (sowohl schöngeistige Literatur als auch Sachtexte) von Werken, die zu unterschiedlichen Zeiten die Vorstellung des deutschen Lesers über St. Petersburg prägten und gewissermaßen den „deutschen Petersburger Text“ bilden;
  • die Analyse und Auswertung der deutschen Rezeption von Werken (Puškin, Gogol‘, Dostoevskij, Belyj u.a.), die das klassische Korpus des Petersburger Textes der russischen Literatur bilden;
  • der Versuch einer poetologischen Umdeutung des Konzeptes Petersburger Text als einer Ausdrucksform von kultureller Identität und kulturellem Gedächtnis im Rahmen des Kulturtransfers.

*Toporov, Vladimir (1984): Peterburg i „Peterburgskij tekst russkoj literatury“. In: Trudy po znakovym sistemam. Vyp. 18: Semiotika goroda i gorodskoj kul’tury: Peterburg, Tartu. S. 13. Deutsche Übersetzung des Zitats: Ju. L.

 

CV
seit März 2022

Gastwissenschaftler im GRK 1956, DAAD-Stipendiat

seit 01/2016
Postdoktorand im IGK „Kulturtransfer und ‚kulturelle‘ Identität“

09/2010
Promotion an der MGU (Dissertation „Der Dichter-Mythos in der Lyrik von R.M. Rilke. Tradition der deutschen Romantik“)

seit 09/2008
Dozent am Thomas-Mann-Lehrstuhl des Instituts für russisch-deutsche Literaturbeziehungen an der Russischen Staatlichen Universität für Geisteswissenschaften (RGGU) Moskau

2007‒2010
Stipendiat des DAAD Förderprogramms „Vladimir Admoni“ am Thomas-Mann-Lehrstuhl der Russischen Staatlichen Universität für Geisteswissenschaften Moskau (RGGU)

2006‒2007
DAAD-Forschungsstipendium an der LMU München

2002
Auslandssemester an der HU Berlin (Fach: Neure deutsche Literatur)

2000‒2005
Studium der Germanistik (Philologische Fakultät) an der Moskauer Staatlichen Lomonosov Universität (MGU)

Publikationen

Monographien

Миф о поэте в лирике Р.М. Рильке. Традиция немецкого романтизма. СПб.: Алетейя, 2014.

Sammelbände

Kemper, D.; Dmitrieva, E.; Lileev, J.: Deutschsprachige Literatur im westeuropäischen und slavischen Barock. München, 2012.

Aufsätze

  • Диалог культур: рецепция «Петербургского текста» в Германии (к постановке вопроса) // Слово. Грамматика. Речь. Вып. XVII. М., 2016. С. 190-199.
  • Sergej Sergeevič Averincev: Historische Poetik als typologisches Verfahren// D. Kemper; V. Tjupa; S. Taškenov. Die russische Schule der historischen Poetik. München: Wihelm Fink, 2013. S. 113-129.
  • Миф и поэтическое слово: философско-эстетические концепции Р. М. Рильке и А. Ф. Лосева. // Ежегодник Российского союза германистов. Т. 9. М., 2012. С. 76-84.
  • Традиция романтической мифологизации в «Новых стихотворениях» Р.М. Рильке. // Вестник Российского государственного университета им. И. Канта. Вып. 8. Сер. Филологические науки. – Калининград, 2009. С. 69-73.
  • Grenzen der Übersetzbarkeit am Beispiel der romantischen Poesie. // Kemper, D.; Bäcker. I. (Hg.). Deutsch-russische Germanistik. Ergebnisse, Perspektiven und Desiderate der Zusammenarbeit. Moskau, 2008. S. 75-80.